Aktien im Verteidigungssektor stürzen ab: Warum sind die Händler nervös wegen ihrer Rekordjagd?

Ein Leopard 2-Panzer von Rheinmetall in der Produktion
Ein Leopard 2-Panzer von Rheinmetall in der Produktion Copyright Fabian Bimmer/AP
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Von Tina Teng
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

Nach einer mehrmonatigen rekordverdächtigen Hausse verzeichneten die europäischen Rüstungsaktien nach der Überbewertungswarnung von Goldman Sachs einen starken Rückgang. Der Rückgang schürt die Sorge um ein Ende des Aufwärtstrends in diesem Sektor.

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Der Verteidigungssektor hat sich in den letzten beiden Jahren, beflügelt durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, als einer der besten Performer erwiesen. Insbesondere die europäischen Verteidigungs- sowie Luft- und Raumfahrtaktien haben ihre US-Konkurrenten überflügelt, wobei die Aktien des größten deutschen Rüstungsherstellers Rheinmetall seit Februar 2022 um rund 540 % gestiegen sind.

Andere Rüstungsaktien wie der größte britische Luft- und Raumfahrtkonzern BAE Systems und der französische Rüstungskonzern Safran stiegen im gleichen Zeitraum um 114 % bzw. 176 %. Die Rekordjagd hat jedoch eine Verschnaufpause eingelegt, nachdem die Investmentbank Goldman Sachs in Bezug auf die Bewertungen eine Warnung herausgegeben hat, die die Sorge vor einem Umschwung im Verteidigungssektor weckt. Warum aber machen sich Händler:innen und Anleger:innen Sorgen um ihre Rekordjagd?

Besorgnis über eine Überbewertung

Laut Goldman Sachs werden europäische Rüstungsaktien mit einem Aufschlag von 45 % gegenüber den breiten Aktienmärkten gehandelt, was auf eine mögliche Überbewertung des Sektors hindeutet.

Der Euro Stoxx Aerospace & Defense Index (SXPARO) ist seit Februar 2022 um rund 194 % gestiegen, während der Stoxx Europe 600 Index (SXXP) um bescheidenere 24 % zugelegt hat.

Die zehn wichtigsten Komponenten des SXPARO, darunter Airbus, Safran, BAE Systems, Rolls Royce GE, Rheinmetall, Thales, MTU Aero Engines, Melrose Industries, Leonardo und Saab B, haben sich in den letzten zwei Jahren besser entwickelt als der breite Markt. Diese Outperformance fiel mit dem zunehmenden Interesse der Anleger an Aktien aus den Bereichen Verteidigung und Luft- und Raumfahrt zusammen, da die staatlichen Budgets für diesen Sektor steigen.

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) einiger dieser Aktien, wie Rheinmetall und Safran, liegt bei rund 45 und damit deutlich über dem Verhältnis von 15 für den SXXP und 22 für den europäischen Industriesektor. Die Warnung von Goldman Sachs könnte im gesamten Sektor zu Gewinnmitnahmen geführt haben, was wiederum eine deutliche Korrektur bei den europäischen Verteidigungswerten zur Folge hatte.

Der Ausverkauf wirft jedoch eine andere Frage auf: Ist der Aufwärtstrend dieser Aktien hier zu Ende oder handelt es sich lediglich um einen vorübergehenden Rückschlag vor einer weiteren Aufwärtswelle? Die Antwort könnte von den Wachstumsaussichten der einzelnen Unternehmen abhängen, die ihren aktuellen Marktbewertungen gegenübergestellt werden. Nachfolgend ein Blick auf die bisherige Entwicklung und die Aussichten der beiden am höchsten bewerteten Rüstungswerte in dieser Gruppe.

Rheinmetall erwartet 2024 einen Umsatz von über 10 Milliarden Euro

Die Rheinmetall-Aktie profitierte am stärksten von den steigenden Militärausgaben in Europa. Ihr Marktwert stieg von 4 Milliarden Euro vor zwei Jahren auf 22,69 Milliarden Euro. Der Gesamtjahresumsatz stieg um 12% auf 7,2 Mrd. Euro, wobei der zweitgrößte Geschäftsbereich Waffen und Munition um 29% auf 1,8 Mrd. Euro im Jahr 2023 zulegte und damit rund 24% des Gesamtumsatzes erwirtschaftete.

Andere wichtige Geschäftsbereiche, wie Fahrzeugsysteme und elektronische Lösungen, stiegen um 14 % bzw. 13 % gegenüber dem Vorjahr. Das Unternehmen geht davon aus, dass der Umsatz in diesem Jahr einen Rekordwert von mehr als 10 Mrd. € oder ein Wachstum von 39 % erreichen wird. Dies bedeutet eine Wachstumsrate, die mehr als dreimal so hoch ist wie im Jahr 2023. Darüber hinaus hat sich die operative Marge des Unternehmens kontinuierlich auf 12,8 % im Jahr 2023 erhöht, nach 12 % im Jahr 2022 und 10,5% im Jahr 2021. Für 2024 rechnet Rheinmetall in seiner Jahresbilanz mit einem Wert zwischen 14 % und 15 %. Daher muss ein Multiplikator von 45 nicht unbedingt auf eine erhebliche Überbewertung hindeuten, wenn man die Wachstumsaussichten betrachtet.

Safran rechnet mit einem Umsatzwachstum von 18% im Jahr 2024

Im Jahr 2023 stieg der Gesamtumsatz des französischen Luft- und Raumfahrt- und Rüstungskonzerns Safran im Vergleich zum Vorjahr um 22 % auf 23,2 Mrd. €, wobei das Betriebsergebnis um 31 % auf 3,1 Mrd. € anstieg. Das Wachstum verlangsamte sich jedoch gegenüber dem jährlichen Anstieg von 25 % im Jahr 2022.

Revenue from French supplier Safran were up 22% over the year
Revenue from French supplier Safran were up 22% over the yearMichel Euler/AP

Der Umsatz wurde in erster Linie von den zivilen Triebwerken gepusht, insbesondere von der LEAP-Auslieferung, die gegenüber 2022 um 38 % zulegte, während die militärischen Triebwerke im Jahr 2023 um 18 % zurückgingen. Für 2024 erwartet das Unternehmen einen Umsatz von 27,4 Mrd. € bzw. ein jährliches Wachstum von 18 %, was auf eine weitere Verlangsamung des Umsatzes im Vergleich zu 2023 hindeutet. Daher rechtfertigt der Wachstumskurs von Safran möglicherweise nicht in vollem Umfang das derzeitige Kurs-Gewinn-Verhältnis von 43.

Die Europäische Union strebt höhere Verteidigungsbudgets an

Nichtsdestotrotz könnten die anhaltenden geopolitischen Spannungen das weitere Wachstum des europäischen Verteidigungssektors weiterhin unterstützen. Die durchschnittlichen europäischen Verteidigungsausgaben beliefen sich im vergangenen Jahr auf 1,6 % des BIP und lagen damit unter dem von der NATO gesetzten Ziel von 2 %, das eine Erhöhung im Jahr 2024 erfordert.

Im Jahr 2023 stiegen die Militärausgaben im Vergleich zu 2022 um 4,5 % auf einen Rekordwert von 280 Mrd. €, und 2024 wird der Betrag laut der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen auf 350 Mrd. € steigen.

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 stammen 78 % der von den EU-Mitgliedstaaten getätigten Rüstungsbeschaffungen von außerhalb der Region, 63 % davon aus den USA.

Anfang März wurde in der ersten europäischen Strategie für die Verteidigungsindustrie das Ziel festgelegt, bis 2030 mindestens 40 % der Verteidigungsgüter gemeinsam zu beschaffen und mindestens die Hälfte des Beschaffungsbudgets für Verteidigungsgüter innerhalb der EU aufzubringen; bis 2035 soll dieser Anteil auf 60 % steigen. Sie ermutigt die Mitgliedsländer, "mehr, besser, gemeinsam und europäisch zu investieren".

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